Neue Kriterien für Rot-Weiß-Rot-Karte sollen Fachkräftemangel lindern helfen
Wien (PK) – Immer mehr Betriebe in Österreich klagen über fehlende Arbeitskräfte. Die Regierung hat daher ein Gesetzespaket geschnürt, um den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt für Nicht-EU-Bürger:innen zu erleichtern. Heute hat der Nationalrat für diese Novelle grünes Licht gegeben. Sie bringt unter anderem gelockerte Auflagen für den Erhalt der Rot-Weiß-Rot-Karte und einen dauerhaften Arbeitsmarktzugang für Stamm-Saisonniers. Zudem sollen Bewilligungsverfahren beschleunigt und Start-up-Gründungen durch reduzierte Stammkapital-Erfordernisse erleichtert werden. Ebenso wird ein Gesetzespassus, der es privaten und gemeinnützigen Arbeitsvermittlungen derzeit nur sehr eingeschränkt erlaubt, Drittstaatsangehörige zu vermitteln, ersatzlos gestrichen.
Kritisch beurteilt wurde das Gesetzespaket von SPÖ und FPÖ. Die SPÖ ortet einen „Kniefall vor der Wirtschaft“ und befürchtet, dass der Druck auf heimische Arbeitnehmer:innen weiter steigen wird. Nach Auffassung der FPÖ ist die österreichische Arbeitsmarkt- und Zuwanderungspolitik insgesamt gescheitert. Nicht ganz zufrieden mit dem Entwurf zeigten sich auch die NEOS: Da er ihrer Meinung nach in die richtige Richtung geht, stimmten sie diesem dennoch zu. Keine Mehrheit fanden ein Abänderungsantrag und ein Entschließungsantrag der NEOS.
In Form einer Entschließung ersuchen die Abgeordneten Arbeitsminister Martin Kocher, für Grenzgänger:innen, die regelmäßig im Homeoffice arbeiten, praxisnahe Lösungen in steuer-, sozial- und arbeitsrechtlicher Hinsicht zu finden. Temporäre Abkommen zu diesem Thema, die infolge der Corona-Pandemie mit Nachbarstaaten geschlossen wurden, würden nämlich demnächst auslaufen, warnen sie. Initiiert worden war die Entschließung von den NEOS, der Beschluss dazu erfolgte einstimmig.
Mehrheitlich abgelehnt hat der Nationalrat dagegen zwei Anträge der FPÖ. Zum einen ging es den Freiheitlichen darum, den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt bei hoher Arbeitslosigkeit oder anderen triftigen Gründen sektoral auch für EU-Bürger:innen zu beschränken. Zum anderen drängten sie auf weitere Maßnahmen, um die während der Corona-Pandemie gestiegene Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren, wobei ihrer Meinung nach vor allem besonders schützenswerte bzw. unterstützenswerte Gruppen wie Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder ältere Arbeitslose nach stärker gefördert werden sollten.
ÖVP und Grüne begrüßen Gesetzesnovelle
Im Zuge der Debatte begrüßten unter anderem die ÖVP-Abgeordneten Klaus Fürlinger, Martina Diesner-Wais und Tanja Graf sowie NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker die gelockerten Mindestanforderungen für die Rot-Weiß-Rot-Karte, etwa was Sprachkenntnisse und die Entlohnung betrifft. So ist künftig auch bei älteren Schlüsselkräften eine Bezahlung in Höhe der halben ASVG-Höchstbeitragsgrundlage (derzeit 2.835 € brutto) ausreichend, bisher waren 60% vorgeschrieben. In Bezug auf die bessere Bewertung von Englischkenntnissen hätte sich Loacker allerdings eine weitergehende Regelung gewünscht.
Was die Kritik der SPÖ betrifft, meinte Fürlinger, mit „alten Rezepten“ werde man die aktuellen Probleme von Unternehmen nicht lösen. Fast jeder Betrieb klage bereits über Personalmangel, während früher vorrangig hohe Steuern und Bürokratie bemängelt worden seien. Selbst wer über Kollektivvertrag zahle, leide unter fehlenden Arbeitskräften. Auch das Argument der FPÖ, dass die vorliegende Novelle keinem einzigen Österreicher bzw. keiner einzigen Österreicherin etwas bringe, ließ die ÖVP nicht gelten: Es gehe auch darum, bestehende Mitarbeiter:innen zu entlasten, machte Rebecca Kirchbaumer geltend. Alexander Melchior gab zu bedenken, dass Unternehmen Aufträge nicht annehmen könnten, wenn sie zu wenig Mitarbeiter:innen haben.
Melchior und Graf machten außerdem auf die vorgesehenen Erleichterungen für Projektmitarbeiter:innen aufmerksam. Wer nur bis zu sechs Monaten in Österreich tätig sein solle, brauche künftig nur noch ein Visum und eine Beschäftigungsbewilligung, hoben sie hervor. Ihre Parteikollegin Diesner-Wais wies auf die Bedeutung der neuen Stamm-Saisonnier-Regelung für den Tourismus und die Landwirtschaft hin.
Positiv bewertet wurde die Novelle auch von den Grün-Abgeordneten Georg Bürstmayr und Barbara Neßler. Diese sei zwar „nichts Weltbewegendes“, für die Betroffenen aber wichtig, sagte Bürstmayr. Wer in Österreich studiert habe, werde es künftig leichter haben, hier zu bleiben und zu arbeiten. Zudem würde der schrittweise Zugang für Saison-Stammkräfte zu einer dauerhaften Arbeitsbewilligung die Rechte einer Gruppe von Arbeitnehmer:innen stärken, die derzeit keine gute Position habe. Firmen würden künftig außerdem unterstützt, um im Ausland qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Neßler zeigte sich überzeugt, dass sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Arbeitgeber:innen von der Reform profitieren werden.
Zur Forderung der NEOS, nach einer eigenen Rot-Weiß-Rot-Karte für Lehrlinge merkte Bürstmayr an, in dieser Frage gebe es noch keine Einigung zwischen den Koalitionsparteien. Er kann sich aber durchaus vorstellen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine Lehre zu ermöglichen.
NEOS fordern Nachbesserungen
Eingebracht wurde der Entschließungsantrag betreffend Rot-Weiß-Rot-Karte für Lehrlinge von NEOS-Abgeordnetem Yannick Shetty. Er machte auf den „eklatanten“ Lehrlingsmangel in Österreich aufmerksam und zeigte sich zuversichtlich, dass es mit einem eigenen Aufenthaltstitel für Lehrlinge möglich wäre, junge Menschen aus Albanien, Serbien, Bosnien und anderen Ländern nach Österreich zu locken. Die Unternehmen bräuchten diese Menschen, um die Lehrstellenlücke zumindest teilweise zu schließen, meinte er und verwies auch auf eine entsprechende Forderung der Wirtschaftskammer.
Was die vorliegende Novelle anlangt, kritisierte Shettys Fraktionskollege Gerald Loacker nicht nur die aus seiner Sicht zu restriktiven Bestimmungen in Bezug auf die Bewertung von Englischkenntnissen. Für ihn ist es auch nicht einsichtig, dass Bewerber:innen für eine Rot-Weiß-Rot-Karte weiterhin zu zwei Behörden – zur Bezirksverwaltungsbehörde und zum AMS – gehen müssen. Das sei ein Wettbewerbsnachteil im Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte, zumal die Verfahren oft lange dauerten, glaubt er. Ein von Loacker eingebrachter Abänderungsantrag zielte in diesem Sinn u.a. auf Verfahrensbeschleunigungen ab, fand bei der Abstimmung aber keine Mehrheit.
Erfreut äußerte sich Loacker über die breite Zustimmung zu seinem Entschließungsantrag betreffend Grenzgänger:innen. Es brauche Lösungen, damit Betroffene ihren Rechtsstatus als Grenzgänger:innen nicht verlieren, wenn sie mehr als 25% ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, mahnte er. Nach aktueller Rechtslage müssten deutsche Unternehmen in Österreich zudem eigene Betriebsstätten einrichten, wenn ihre österreichischen Mitarbeiter:innen zu viele Tage im Homeoffice arbeiten.
SPÖ ortet „Kniefall vor der Wirtschaft“
Die Kritik der SPÖ an der Novelle bekräftigten Verena Nussbaum und Josef Muchitsch. Der Gesetzentwurf sei „ein Kniefall vor der Wirtschaft“ und werde zu keiner Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Beschäftigte beitragen, sondern nur Sozialdumping fördern, meinte Nussbaum. Der ohnehin schon hohe Druck auf Arbeitnehmer:innen werde weiter steigen. So lange die Arbeitsplätze nicht attraktiver werden, werde man den Fachkräftemangel nicht beseitigen können, ist sie sich sicher. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sei immer für qualifizierte Arbeitskräfte gedacht gewesen, ergänzte SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch, nun mache man sie „billiger“.
Nussbaum machte darüber hinaus geltend, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich „nur sehr schleppend“ zurückgehe. Vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit sei weiter hoch, insbesondere unter älteren Personen und unter Personen mit gesundheitlichen Problemen. Das „Projekt Sprungbrett“ greife nicht. Muchitsch wertete es außerdem als zutiefst problematisch, dass scheinselbstständige „Einzelmeister“ zu Dumping-Löhnen in Österreich arbeiten würden und Slowenien in großem Stil Drittstaatsangehörige nach Österreich entsende, die in Slowenien selbst keinen einzigen Tag gearbeitet hätten.
FPÖ sieht Arbeitsmarkt- und Zuwanderungspolitik insgesamt gescheitert
FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm sieht die Arbeits- und Zuwanderungspolitik insgesamt gescheitert. Man müsse in Österreich selber Arbeitskräfte ausbilden und fair entlohnen, wolle man den bestehenden Arbeitskräftemangel beheben, unterstrich er. Mit den Änderungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte tue man nichts anderes, als bestehende „Löcher zu stopfen“. Konkret regte er etwa an, Lehrlingen eine Lehrabschlussprämie von 10.000 € – davon 5.000 € in bar und 5.000 € für Weiterbildung – zu zahlen und Pensionist:innen zu ermöglichen, in der Pension weiterzuarbeiten, ohne deren Pension anzutasten.
Es gebe in Österreich überdies immer noch „viele hunderttausend“ Menschen, die nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, klagte Wurm mit Verweis auf Flüchtlinge und Zuwanderer. Nach Meinung seines Fraktionskollegen Erwin Angerer wäre dieses Problem einfach zu lösen:
Bereits an der Grenze sollten den Betroffenen Arbeitsutensilien in die Hand gedrückt werden und wer nicht arbeite, müsse umgehend „zurück nach Hause“.
Kocher hält breite Fachkräftestrategie für notwendig
Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher gestand zu, dass man den bestehenden Fachkräftemangel in Österreich mit der vorliegenden Novelle nicht beseitigen werde. Diese sei aber ein Beitrag, um diesen zu lindern. Insgesamt brauche es jedoch eine breite Strategie. Konkret nannte er etwa die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie, gesundheitliche Aspekte in Zusammenhang mit älteren Beschäftigten, Qualifizierungsmaßnahmen und die weitere Attraktivierung der Lehre, wobei er betonte, dass es noch nie ein so hohes Qualifizierungs-Budget gegeben habe.
Allgemein wies Kocher darauf hin, dass es derzeit einen Beschäftigungsrekord in Österreich gebe. So seien aktuell knapp 500.000 Menschen mehr beschäftigt als vor zehn Jahren. Auch bei den offenen Stellen sei ein Rekord zu verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit liege unter dem vor-COVID-19-Niveau. Zur Forderung der SPÖ nach besseren Arbeitsbedingungen hielt Kocher fest, diese würden am Arbeitskräftemangel per se nichts ändern, sondern lediglich zu einer Verschiebung von Arbeitskräften zwischen Branchen führen. (Fortsetzung Nationalrat) gs
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